Beim Sterben zur Seite stehen

Sie gehen den Weg gemeinsam – bis zum Schluss. Sie begleiten den Sterbenden – in seinen eigenen vier Wänden. Sie sind für die Angehörigen da – rund um die Uhr.”Und schnell”, sagt Iris Thenhausen, “ganz schnell gehören wir zur Familie.” Die 52-Jährige leitet den Dienst “Hospiz Daheim”, den es seit fast einem Jahr offiziell gibt. Rund 50 Menschen aus dem Kreis Recklinghausen haben seitdem von dem besonderen Angebot profitiert. Möglich macht dies das Hospiz zum hl. Franziskus an der Feldstraße in Recklinghausen. Die Fachleute informieren, beraten, pflegen, nehmen Ängste – und sind einfach “nur” da. Sie verschenken etwas, was es in unserem Gesundheits- und Pflegesystem eigentlich nicht umsonst gibt: Zeit. Und sie machen Männer und Frauen stark, die sich in einer extremen Lage befinden. Frauen wie Michaela Marx zum Beispiel. Ihr todkranker Vater Günter (89) wollte auf keinen Fall im Krankenhaus sterben. “Er sollte in seiner gewohnten Umgebung bleiben”, berichtet die Tochter. Noch gut kann sie sich an die belastende Situation, die eigene Unsicherheit und Hilfslosigkeit, die Panikattacken ihrer Mutter erinnern.

Sie kamen zu jeder Tages- und Nachtzeit”

Aber zum Glück waren da die Menschen von “Hospiz Daheim”. “Welch ein Segen. Sie kamen zu jeder Tag- und Nachtzeit. Sie waren herzlich, sie sind respektvoll und wertschätzend mit meinem Vater umgegangen”, schwärmt die Tochter, die dankbar für die große Hilfe war, denn sie selbst stieß immer wieder an ihre Grenzen. “Das hätte ich nicht gedacht, schließlich arbeite ich als Heilpädagogin auch mit Schwerstbehinderten. Aber wenn der eigene Vater da liegt, ist das etwas Neues”, gesteht die 54-Jährige.

Solch ein Lob hören Iris Thenhausen, Susanne Kamp und Dirk Spitzer und Monika von Darl immer wieder (gerne). “Nach anfänglicher Skepsis sind die Kranken und Angehörigen froh, dass es uns gibt, dass sie endlich einmal offen reden können. Denn voreinander tun sie das nicht. Sie wollen sich doch gegenseitig beschützen”, berichtet die Marlerin Susanne Kamp. Aber in den intensiven Gesprächen geht es nicht nur um Tod und Sterben, um Ängste und Sorgen, um Trauer und Traurigsein, sondern auch um das, was war: um Hobbys und Urlaubsreisen, die Enkel, um Gefühle – das Leben eben. “In diesen Momenten bin ich nur für diesen Menschen da. Das genieße ich”, sagt Dirk Spitzer. Die Helfer bekommen viel zurück. Iris Thenhausen: “Diese große Dankbarkeit, dieses enorme Vertrrauen – das ist ein Geschenk”. Sie lächelt. Trotzdem ist es keine leichte Arbeit. Zumal: so kurios das klingt – die Sterbenden werden immer jünger. Iris Thenhausen: ” Plötzlich ist der Patient in meinem Alter. Und wir unterhalten uns über die gleichen Filme, die gleiche Musik. Das berührt noch einmal anders.” Die Angehörigen erhalten ebenfalls viel Aufmerksamkeit: Ganz vorsichtig bereiten die Fachleute sie auf das vor, was da kommt, damit sie die Signale des Todes richtig deuten, damit sie wissen, was zu tun ist und nicht in letzter Sekunde die Nerven verlieren und wohlmöglich den Krankenwagen rufen. Dirk Spitzer: “Diese Spannung auszuhalten ist sehr schwer.”  Übrigens sind die vier auch dann noch für die Familie da, wenn der Kranke es längst überstanden hat. “Denn genau das entspricht dem Hospizgedanken,” betont Iris Thenhausen.

Das Leben ist kostbar, genieße es!”

Und wie stehen die Helfer zu ihrem eigenen Tod? Haben sie Angst vor dem Ende? “Mal mehr, mal weniger” sagt Susanne Kamp nachdenklich. Dirk Spitzer hingegen zögert nicht lang. “nein”, erklärt er bestimmt. Und Iris Thenhausen hofft, dass sie ” loslassen kann, wenn es soweit ist.” Doch in einem sind sie sich einig. “Das Leben ist kostbar, genieße es!”, bringt es die Leiterin auf den Punkt. Und auch Dirk Spitzer weiß:”Ich spare nicht für ein Häuschen in zehn Jahren oder warte auf die Rente. Ich lebe jetzt!”

INFO zum “Hospiz Daheim”

Das Hospiz bietet seit dem 1. Juli 2017 einen ambulanten Palliativdienst an. Eigentlich steht das vierköpfige Team von “Hospiz Daheim” Kranken und Angehörigen abr schon ein halbes Jahr länger bei. Doch erst seit fast einem Jahr zahlt auch die Krankenkasse ihren Beitrag. Allerdings decken die gerade einmal 33,65 Euro pro Hausbesuch nur einen kleinen Teil der Kosten. Das Hospiz muss jährlich dazuzahlen: 120.000 Euro.  Vier Fachleute stehen den Kranken und deren Angehörigen bei, beraten sie, informieren über Schmerztherapien, Ernährung und den Umgang mit dem Patienten.
 Zeitweise begleiten sie bis zu 8 Patienten gleichzeitig. 50 Familien profitierten bereis von diesem Angebot.
Wie wertvoll ihre Hilfe ist, haben sie bereits von 2000 bis 2010 bewiesen. Als Modellversuch gestartet, musste der Hospizverein allerdings nach sieben Jahren mit in die Finanzierung einsteigen. 2010 kam trotzdem das Aus. Denn das Geld wurde für den Hospiz-Neubau benötigt.

 

Ulrike Geburek / Recklinghäuser Zeitung